Sonntag, 31. Oktober 2010

"A und P" - Erinnerungen

Da wo das alte Bauernhaus stand, sind heute Wohnblöcke aneinander gereiht. Wohnen im Grünen nennt sich das. Und was einmal grün war, da wo mein Grossvater den Löwenzahn für seine Hasen schnitt ist heute pflegeleicht asphaltiert.
Die Untere-Erlen war mein Ferienrevier. Mein Grossvater war ein liebevoller, stiller und einfacher Mann, und seine ganze Leidenschaft galt seinen Hasen. Sein Reich waren die selbstgezimmerten Ställe, übereinander, nebeneinander, sein "Bidon-Ville" hinter dem Haus. Und ob jedem Stalltürchen befand sich eine alte Jass-Schiefertafel mit Kreidenotizen. Etwa "A 3.III" oder "P 4x".
Wir Kinder wussten dass Grossvater grossen Wert auf eine gute Hasenzucht legte. Aber was wir nicht wussten, oder zumindest ich nicht wusste war, wieso es zwischen den Ställen einen Durchgang mit einem Holzschieber gab. Wir hatten dann mal zwecks Abklärung alle Holztürchen geöffnet und somit Grossvater's Zuchtprogramm über den Haufen geworfen. Grossvater machte darauf geduldig neue Notizen mit Kreide, und immer kamen wieder die Buchstaben "A und P" vor. Wir rätselten was wohl die beiden Buchstaben bedeuteten? Waren "A-Hasen" etwa für den Familienschmaus an Allerheiligen vorgesehen? "P-Hasen" etwa für Pfingsten oder für Pelzmäntelchen reserviert? Grossvater klärte uns auf: "A" stand für Auen, "P" für Böcke......

Freitag, 29. Oktober 2010

Wahrnehmung, vor 53 Jahren

Als die Russen im Oktober 1957 den allerersten Satelliten ins Weltall schossen, konnte man diese Metallkugel bei viel Glück und klarer Sternennacht als wandernden Punkt beobachten. Der Sputnik war die Sensation überhaupt! Die Zeitungen veröffentlichten "Fahrpläne" wo und wann der Satellit zu sehen sei.
Man richtete sich auf dem Balkon ein oder setzte sich in den Garten. Bewaffnet mit Wolldecke, Kaffee und Knaberzeugs harrte man des achten Weltwunders. Überall in den Nachbarsgärten hörte man flüstern und diskutieren. Es war eine Stimmung wie vor Beginn der Erstaugustfeier. Die Männer diskutierten wie schnell, wie schwer der Sputnik sei. Man tauschte technische Daten. Und dann sah man ihn - nichts weiteres als ein kleiner Leuchtpunkt und nicht heller und nicht grösser als ein Stern zweiter Klasse....
Durch die ganze Siedlung gingen "Aaah's" und "Oooh's" und laute Anweisungen und Ortungen für die, die ihn am falschen Ort suchten. Alle schauten ergriffen dem in 500 Kilometer entfernt fliegenden Punkt zu.
Und endlich hatte ihn Frau Alt-Gemeindeschreiber auch gesehen und sie rief: "Jesses, ond dä hed jo sogar no es Liechtli vore draa...!"

Donnerstag, 7. Oktober 2010

An der Melezza...Gedanken beim skizzieren

Platz.
Wir sind in diese Welt hineingeboren; wir haben also Anrecht auf Platz. Die grosse Kugel gehört uns, alle Meere, alle Kontinente, aller Himmel über uns. Will heissen, wir haben Anrecht zu leben und uns rund um die Kugel zu bewegen. Aber wir sind die einzigen Lebewesen die Platz abgrenzen, beanspruchen, kaufen, blockieren, einhhagen, die Zölle erheben, Platz zum lukrativen Besitz machen.
Da niemand zu Beginn der Schöpfung gesagt und bestimmt hatte: "Diese 31'000 Hektaren gehören Herrn Rockefeller, diese 80'000 Quadratkilometer gehören Herrn Esso...", muss irgendwann mal jemand mit dem "in Beschlag nehmen" angefangen haben. Und die Art hat Gefallen gefunden, denn keine andere Unsitte feiert derart Urständ bis heute!
Und was machen wir? Wir finden es gut, sagen Amen und erklären unseren Kindern Grundbesitz als Synonym für Erfolg, also als erstrebenswertes Ziel. Anstatt sie zu lehren dass sie Anrecht auf dies ganze Welt hätten bringen wir ihnen bei dass es Quadratmeter gibt, Quadratkilometer, Länge mal Breite.
Wir arbeiten ein Leben lang um unsere Freiheit der Ozeane, der Erdteile, einzutauschen in virtuelles Terrain, in "Eigentum". Dann bauen wir ein Haus darauf, fühlen uns endlich frei und haben die Freiheit verloren...
Für die Kinder richten wir Kinderzimmer ein, vier mal fünf Meter, zeigen ihnen wo die Wände sind, wo Platz für die Spielsachen ist, wo der kleine Tisch zu stehen hat, wo sie fast frei tun und lassen dürfen was sie möchten. Wir leben ihnen vor, dass 20 Quadratmeter Platz Leben bedeuten soll und vergessen ihnen die Wüste Sahara, Tibet und den Himalaya zu zeigen...

Ich laufe ziellos der Melezza entlang, immer weiter. Ich muss zurück, an meinen Platz, den ich eigentlich gar nicht kenne, den ich nicht wirklich habe.